Gefängniskommunikation mit TelioEin Monopolist und wenige Alternativen

Deutschlandweit schließen Justizvollzugsanstalten langfristige Verträge mit einer Firma für Gefängniskommunikation ab, die hohe Preise diktiert. Dass es auch anders gehen kann, zeigen zwei Modelle aus Brandenburg und Sachsen: Dort wickeln Gefängnisse die Telefonate selbst ab.

Mauerecke mit Nato-Draht
Eine JVA in Brandenburg und eine in Sachsen gehen ihre eigenen Wege. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sigmund

In 15 von 16 Bundesländern Deutschlands übernimmt die Firma Telio eine elementare Infrastruktur-Aufgabe: Sie stellt sicher, dass Gefangene mit ihren Angehörigen und anderen außerhalb der Gefängnismauern telefonieren können. Dies geht aus Anfragen hervor, die netzpolitik.org an die Justizministerien der Länder stellte.

Nur ein Land sperrt sich gegen diese Möglichkeit: In Bayern darf ein Telefonat nur in „dringenden Fällen gestattet werden“. Die Kosten dafür übernehmen die Gefangenen selbst. Von außen angerufen werden: nicht möglich. So will es das Bayerische Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 2007. „Die Vollzugsanstalt trifft für jeden Antrag eine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls“, teilt das Bayrische Justizministerium mit.

Immerhin: „In einigen Anstalten besteht auch die Möglichkeit, Gespräche mittels Videotelefonie (Skype) zu führen“. Das Ministerium will diesen neuartigen Versuch am Ende evaluieren. Außer in Bayern lassen noch das Saarland und Baden-Württemberg nach eigener Aussage Internettelefonie zu, um in Pandemiezeiten Kontakt zu Gefangenen zu halten.

Alle Kosten auf die Gefangenen umgelegt

Ein Name taucht im Zusammenhang mit den Telefonaten immer wieder auf: Telio. Die Firma ist Marktführer für Gefangenenkommunikation in Deutschland. Ihr Konzept: Keine Kosten für die Justizvollzugsanstalten respektive die Haushalte der Länder. Dafür werden sämtliche Kosten auf die Gefangenen umgelegt. Sie sollen zwar marktübliche Preise zahlen, doch dazu kommt es nicht immer. Wenn Inhaftierte ihre Familie beispielsweise in der Türkei anrufen wollen, zahlen sie Preise, die dem Markt entsprechen, aber bei geringem Einkommen nur für ein paar Minuten Gespräch reichen. Rückfrufe sind in aller Regel nicht möglich.

In zehn Bundesländern gibt es laut den Justizministerien gar keine Anbieter jenseits von Telio: das sind Berlin, Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In den restlichen Ländern sind weitere Unternehmen wie der Konkurrent Gerdes und die Deutsche Telekom aktiv. Der Unterschied: Da diese Bundesländer teilweise keine Allgemeinverträge abgeschlossen haben, können die einzelnen Justizvollzugsanstalten ihren Geschäftspartner selbst wählen – und einige wählen eben nicht Telio.

Geheimnisschutz versus Öffentlichkeit

netzpolitik.org hatte die Justizministerien nach Details der Beziehung zu Telio gefragt, etwa dem Datum der ersten Vertragsunterzeichnung und welche Produkte im Detail eingekauft wurden. Die meisten Ministerien antworteten darauf bereitwillig. Nur Hessen und Thüringen erklärten die Details der Verträge zum Geschäftsgeheimnis. Auch auf Nachfrage mit Verweis auf die ausführlichen Antworten anderer Ministerien wollten sie nicht antworten.

Unter den Ländern fällt vor allem Bremen auf. Dort wurde der erste Vertrag mit Telio im Jahr 2007 geschlossen, er hat laut Ministerium eine Laufzeit über 15 Jahre. Die Vertragsschließung fällt in die Amtszeit der damaligen rot-grünen Regierung und überdauerte vier weitere Legislaturen. Der Vertrag für ein weiteres System, das „Haftraummediensystem MULTio“, läuft über 8 Jahren, schreibt das Ministerium. Solche langen Vertragslaufzeiten sind nicht ungewöhnlich.

Eigenregie ist möglich, aber Seltenheit

Dass Gefangenentelefonate auch anders geregelt werden können, ganz ohne externe Dienstleister, zeigen Beispiele aus Brandenburg und Sachsen. In den Justizvollzugsanstalten dort übernehmen die Anstalten selbst die Gefangenentelefonie, in der Brandenburger JVA Luckau-Duben und der Sicherungsverwahrungsabteilung der sächsischen JVA Bautzen. Weitere Details sind bisher nicht bekannt.

Juliane Nagel, Mitglied des sächsischen Landtages für die Linksfraktion, begrüßt diese Entwicklung. „Durch eine Abwicklung der Gefangenentelefonie in Eigenregie könnte man den Gefangenen günstigere und somit marktgerechte Telefonentgelte anbieten und den Gefangenen mehr Selbstbestimmung ermöglichen, was wiederum der Resozialisierung dient“, schreibt Nagel per E-Mail.

Die Besuchseinschränkungen während der Covid-19-Pandemie hätten gezeigt, wie wichtig die Kommunikation in Eigenregie für die Betroffenen sei, um Kontakt zur Außenwelt zu halten.

Auf die Frage, warum diese Option der Gefangenentelefonie nicht flächendeckend eingesetzt wird, sagt sie, dies sei nicht gewollt: „Die Justiz gibt hier ihre Verantwortung in die Hände von Dritten, wohl um sich Arbeit zu sparen.“ Sie kritisiert, dass Telio als Monopolist an den Telefonaten gut verdient. Daseinsvorsorge gehöre in die öffentliche Hand.

Das Justizministeriums Sachsens lässt auf Nachfrage mitteilen, „dass derzeit nicht beabsichtigt ist, die Gefangenentelefonie als eigene Dienstleistung durch die Anstalten anbieten zu lassen“. Vorteile durch Telio ergäben sich nicht. Jedoch betont dass Ministerium, dass die Verträge mit unterschiedlichen Konditionen bezüglich Ausstattung und Art der Leistung durch die einzelnen Anstalten abgeschlossen werden – nicht zentral durch das Ministerium.

Immer noch hohe Preise

Juliane Nagel stellte im August diesen Jahres eine Kleine Anfrage zu dem Thema, darin fragte sie nach den Kosten für Gefangene, wenn sie telefonieren müssen oder wollen. Die Antworten liefern aktuelle Zahlen zu den Preisen in Sachsen: Um die vier Cent pro Minute für „Ortsgespräche“ und bis zu 20 Cent für „Mobilfunkgespräche“. Gefangene, die Menschen im Ausland anrufen, zahlen bis zu 75 Cent pro Minute.

Diese Preise erinnern an den Mobilfunk vom Beginn des Jahrhunderts. Gerade für Gefangene, die möglicherweise Migrationsgeschichte oder ein geringem Einkommen haben, wird das Kontakthalten mit ihren Angehörigen erschwert.

Telio hat auf Anfrage nicht geantwortet.


Land Ergebnis
Brandenburg Telio, Telekom, über Anstalt
Berlin Telio
Baden-Württemberg Telio
Bayern Kein Recht auf Telefonie
Bremen Telio
Hessen Telio, Gerdes und Telekom
Hamburg Telio, Gerdes
Mecklenburg-Vorpommern Telio
Niedersachen Telio
Nordrhein-Westfalen Telio, Telekom
Rheinland-Pfalz Telio
Schleswig-Holstein Telio
Saarland Telio
Sachsen Telio, Gerdes, über Anstalt
Sachsen-Anhalt Telio
Thüringen Telio

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